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Leseprobe Wullenwever

Nun also Lübeck. Mit Hamburg war er durch. Mit den Strichern ebenso. Er wollte seine Ruhe, nichts als seine Ruhe. Und nie wieder einen Knast von innen sehen. Das Erbe war der Glücksfall. Den verstorbenen Onkel kannte er kaum. Aber das Geld reichte, einen kleinen Antiquitätenladen in der Fischergrube in Lübeck zu betreiben. Alltagsramsch, Nippes, Gebrauchtgegenstände, Möbel. Alles was der Krieg übrig gelassen hatte, was aus Schutt und ausgebombten Häusern seinen Weg in seinen Laden fand. Manches wurde ihm angeboten, das meiste erwarb er bei Entrümpelungen und bei Versteigerungen. Seine Kunden waren Nachbarn. Bald auch Menschen aus anderen Stadtteilen, Ausgebombte oder die es bei der Flucht nach Lübeck verschlagen hatte, auf der Suche, ihre Barackenzimmer oder zugewiesene Wohnungen zu bestücken. Er hatte Glück gehabt, wenigstens einmal in den letzten Jahren: Eines von den verschonten Häusern, die die Bombenangriffe einigermaßen unbeschadet überlebt hatten und die nun als seltsame Überbleibsel aus dem Schutt und den Mauerrelikten ihrer Nachbarn herausragten wie falsche Botschafter aus einer heilen Zeit, hatte noch einen intakten Hinterhof und ein Waschaus mit einer kleinen Wohnung gegenüber stand zur Vermietung frei. Da er in der Lage war, eine Jahresmiete im voraus zu zahlen, erhielt er den Zuschlag. Wohl aber auch, weil das Waschaus leer stand, von den übrig gebliebenen Mietern nicht mehr genutzt wurde und schon in Vorkriegszeiten als Abstellraum diente. Waschzuber und Waschbretter waren längst ausgeräumt, nur ein alter Handpaddel zum Umrühren der Wäsche lag noch in einer Ecke. Diese erste antiquarische Erwerbung nahm er als gutes Zeichen. Sie diente ihm als vielversprechendes Omen und Dekoration an einer der geweißten Wände. Wullenvewer widerstand jedem begehrlichen, auf das Objekt gerichteten Blick seiner Kundschaft.
Besonders angetan war er von dem gemauerten Waschkessel-Ofen. Er konnte mit Holz oder Kohle befeuert werden und heizte den Raum tüchtig ein. Zwei Fenster zum Hof reichten aus, die vierzig Quadratmeter mit Tageslicht zu füllen. Eine besondere Ironie des Schicksals muss ihn hierher geführt haben. Ausgerechnet ein Waschhaus, das ihm jetzt Heimat werden sollte, ein Waschhaus, das er im Gefängnis verflucht und gehasst hatte.